Tod der Autorin, S. 74 - 76
Was liefert mir seit Jahrzehnten die Energie für mein Schreiben?
Vielleicht … vielleicht erschreibe ich mir meine Existenzberechtigung. Vielleicht brauche ich all die fiktiven Figuren, damit sie meinen Platz in der Welt verankern. Vielleicht. Mit Sicherheit kann ich sagen: Ich bin mir meines Platzes auf der Welt nie sicher gewesen, ja nicht einmal meines Rechtes, einen Platz zu beanspruchen, ihn einzunehmen, auszufüllen. Aber wenn ich schreibe, wenn ich mich in den Köpfen meiner Figuren bewege, bin ich seltsamerweise ganz bei mir selbst, hinterfrage meine Existenz nicht, bin einfach. Ich schreibe, also darf ich sein.
Lena: Ich schreibe, also darf ich sein?
Ertappt schlägt sich die Autorin auf den Mund:
Oh, habe ich laut gedacht? Wie peinlich!
Lena lächelnd: Gar nicht peinlich. vertraulich Ich empfinde das genauso, weißt du. Wir Frauen haben doch von Kindheit an erlebt, dass wir nur das zweite Geschlecht sind, das abgeleitete Geschlecht, das Geschlecht, das seine Existenzberechtigung aus dem Dasein für den Vater, den Mann, den Sohn bezieht. Insofern hat das Schreiben für Autorinnen durchaus einen emanzipativen …
Autorin: Danke für die Vorlesung. Ich habe Simone de Beauvoir auch gelesen.
Lena pikiert: Und? Hat die Beauvoir etwa nicht recht?
Autorin: Natürlich hat sie recht. Jedenfalls für die Zeit damals. Okay, auch noch für unsere Generation. Aber heute wachsen Mädchen bei uns schon ganz anders auf.
Lena spöttisch: Aha. Soso. Weißt du, was ich erst vor ein paar Tagen im Supermarkt gesehen hab? Pyjamas für Kinder. Was könnte es Harmloseres geben, nicht wahr?
Die Autorin nickt nur, weil Lena wohl kaum eine Antwort auf ihre rhetorische Frage erwartet. Die fährt auch gleich mit erhobener Stimme fort:
Dann schauen wir uns die Pyjamas doch mal genauer an: Da gab es die für Jungen. Die waren blau und trugen den Aufdruck Be your own superhero. Und die für Mädchen waren rosa und verkündeten Daddy is my superhero.
Lena schaut die Autorin triumphierend an und setzt sofort nach:
Gendermarketing nennt sich das. Hört sich modern an, oh ja! Sind aber nur die muffigen Rollenklischees aus der Mottenkiste des Patriarchats! Und weißt du was? Viele ach so hippe Eltern ziehen ihren Kindern diese flauschigen Schlafanzüge an und merken gar nicht, dass sie sie in Korsetts sperren!
Die Autorin nickt wie ein Wackeldackel und bewundert aufrichtig Lenas feministischen Zorn.
Sie kann sich noch über Kinderpyjamas aufregen. Großartig! Warum ist mein Empörungspotenzial so schwach geworden, so ermüdet, abgenutzt von Verbrechen an Frauen in viel zu vielen Teilen der Welt? Frauen werden genital verstümmelt, ihnen wird Säure ins Gesicht geschüttet, sie werden gesteinigt und was der Grausamkeiten mehr sind. Das raubt mir glatt die Energie, mich über die Auswüchse des Gendermarketings hierzulande aufzuregen. Aber Lenas Zorn tut gut. Sie hat Öl ausgegossen und da ist tatsächlich noch Feuer in mir, das aufflackern kann:
Dieser verdammte Backlash nach 68! Alles kommt zurück: Nicht nur die überkommenen Geschlechterrollen, sondern auch die autoritäre Erziehung, der Nationalstolz …
Ringo beugt sich über den Tisch: Nationalstolz? Das ist leider eine Untertreibung. In Deutschland laufen wieder Neonazis frei herum!
Lena: Und die meisten Hühner hocken noch immer oder schon wieder in Käfigen.
Was war das jetzt? Trockener Humor? Sarkasmus? Eine scharfe Zunge hat Lena jedenfalls und das schätze ich, auch wenn mir ihre selbstgerechte Art manchmal echt auf den Keks geht.
Autorin: Neonazis? Käfighühner? Zurück zu uns Frauen! Und da gibt᾿s auch Positives, finde ich. Inzwischen ist hier eine Generation herangewachsen … da sind die Frauen doch deutlich selbstbewusster, ergreifen ihre Chancen, stellen Forderungen und lassen sich nicht mehr alles bieten.
Lena: In der Tat! Heutzutage entdecken ganz junge Frauen den Feminismus wieder und bekennen sich stolz dazu. seufzt Aber wie lange bin ich als altmodische Feministin verspottet worden! Nicht zuletzt von meiner eigenen Tochter.
Lena schaut scheu zum Tisch 4, um vielleicht noch einmal einen Blick ihrer Tochter zu erhaschen. Doch die ist in ein lebhaftes Gespräch vertieft und gerade nicht an ihrer Mutter interessiert.
Im Moment nicht! Aber da werde ich schon noch was dran drehen. Das Dinner fängt ja gerade erst an.
Was liefert mir seit Jahrzehnten die Energie für mein Schreiben?
Vielleicht … vielleicht erschreibe ich mir meine Existenzberechtigung. Vielleicht brauche ich all die fiktiven Figuren, damit sie meinen Platz in der Welt verankern. Vielleicht. Mit Sicherheit kann ich sagen: Ich bin mir meines Platzes auf der Welt nie sicher gewesen, ja nicht einmal meines Rechtes, einen Platz zu beanspruchen, ihn einzunehmen, auszufüllen. Aber wenn ich schreibe, wenn ich mich in den Köpfen meiner Figuren bewege, bin ich seltsamerweise ganz bei mir selbst, hinterfrage meine Existenz nicht, bin einfach. Ich schreibe, also darf ich sein.
Lena: Ich schreibe, also darf ich sein?
Ertappt schlägt sich die Autorin auf den Mund:
Oh, habe ich laut gedacht? Wie peinlich!
Lena lächelnd: Gar nicht peinlich. vertraulich Ich empfinde das genauso, weißt du. Wir Frauen haben doch von Kindheit an erlebt, dass wir nur das zweite Geschlecht sind, das abgeleitete Geschlecht, das Geschlecht, das seine Existenzberechtigung aus dem Dasein für den Vater, den Mann, den Sohn bezieht. Insofern hat das Schreiben für Autorinnen durchaus einen emanzipativen …
Autorin: Danke für die Vorlesung. Ich habe Simone de Beauvoir auch gelesen.
Lena pikiert: Und? Hat die Beauvoir etwa nicht recht?
Autorin: Natürlich hat sie recht. Jedenfalls für die Zeit damals. Okay, auch noch für unsere Generation. Aber heute wachsen Mädchen bei uns schon ganz anders auf.
Lena spöttisch: Aha. Soso. Weißt du, was ich erst vor ein paar Tagen im Supermarkt gesehen hab? Pyjamas für Kinder. Was könnte es Harmloseres geben, nicht wahr?
Die Autorin nickt nur, weil Lena wohl kaum eine Antwort auf ihre rhetorische Frage erwartet. Die fährt auch gleich mit erhobener Stimme fort:
Dann schauen wir uns die Pyjamas doch mal genauer an: Da gab es die für Jungen. Die waren blau und trugen den Aufdruck Be your own superhero. Und die für Mädchen waren rosa und verkündeten Daddy is my superhero.
Lena schaut die Autorin triumphierend an und setzt sofort nach:
Gendermarketing nennt sich das. Hört sich modern an, oh ja! Sind aber nur die muffigen Rollenklischees aus der Mottenkiste des Patriarchats! Und weißt du was? Viele ach so hippe Eltern ziehen ihren Kindern diese flauschigen Schlafanzüge an und merken gar nicht, dass sie sie in Korsetts sperren!
Die Autorin nickt wie ein Wackeldackel und bewundert aufrichtig Lenas feministischen Zorn.
Sie kann sich noch über Kinderpyjamas aufregen. Großartig! Warum ist mein Empörungspotenzial so schwach geworden, so ermüdet, abgenutzt von Verbrechen an Frauen in viel zu vielen Teilen der Welt? Frauen werden genital verstümmelt, ihnen wird Säure ins Gesicht geschüttet, sie werden gesteinigt und was der Grausamkeiten mehr sind. Das raubt mir glatt die Energie, mich über die Auswüchse des Gendermarketings hierzulande aufzuregen. Aber Lenas Zorn tut gut. Sie hat Öl ausgegossen und da ist tatsächlich noch Feuer in mir, das aufflackern kann:
Dieser verdammte Backlash nach 68! Alles kommt zurück: Nicht nur die überkommenen Geschlechterrollen, sondern auch die autoritäre Erziehung, der Nationalstolz …
Ringo beugt sich über den Tisch: Nationalstolz? Das ist leider eine Untertreibung. In Deutschland laufen wieder Neonazis frei herum!
Lena: Und die meisten Hühner hocken noch immer oder schon wieder in Käfigen.
Was war das jetzt? Trockener Humor? Sarkasmus? Eine scharfe Zunge hat Lena jedenfalls und das schätze ich, auch wenn mir ihre selbstgerechte Art manchmal echt auf den Keks geht.
Autorin: Neonazis? Käfighühner? Zurück zu uns Frauen! Und da gibt᾿s auch Positives, finde ich. Inzwischen ist hier eine Generation herangewachsen … da sind die Frauen doch deutlich selbstbewusster, ergreifen ihre Chancen, stellen Forderungen und lassen sich nicht mehr alles bieten.
Lena: In der Tat! Heutzutage entdecken ganz junge Frauen den Feminismus wieder und bekennen sich stolz dazu. seufzt Aber wie lange bin ich als altmodische Feministin verspottet worden! Nicht zuletzt von meiner eigenen Tochter.
Lena schaut scheu zum Tisch 4, um vielleicht noch einmal einen Blick ihrer Tochter zu erhaschen. Doch die ist in ein lebhaftes Gespräch vertieft und gerade nicht an ihrer Mutter interessiert.
Im Moment nicht! Aber da werde ich schon noch was dran drehen. Das Dinner fängt ja gerade erst an.