Birgit Rabisch
Zwischen allen Stühlen ist der Platz des freien Autors
Und wenn der Autor Mutter ist, ist sein Platz zwischen den Stühlen und dem Wickeltisch. Und wenn der Autor alte Eltern hat, steht ein Pflegebett störrisch im Raum seiner Kreativität. Und wenn die Autor*in Vater ist … aber nein, es soll hier nicht um das generische Maskulinum und eine gendergerechte Sprache gehen, obwohl auch hier für uns Menschen der Sprache der Platz zwischen den Stühlen zu erkunden ist, der Platz, in dem wir eine Sprache suchen, die sich nicht ungefragt patriarchal geprägter Formen bedient, die uns aber auch nicht unnötig viele Stolpersteine in den Weg legt. Ich irre oft umher zwischen dem Stuhl, auf dem sich die althergebrachte Sprache, lässig und zugegeben elegant fläzt, und dem Stuhl, auf dem sich mit aufrechtem Rückgrat, aber noch unsicherer Miene, eine Sprache im Werden sperrig in den Weg stellt. Mal nähere ich mich mehr dem einen Stuhl an, mal dem anderen und aus dieser Suchbewegung entsteht ein Text.
Ein anderer Platz entsteht für mich als Autorin fiktionaler Werke zwischen den Stühlen, auf denen ich meine Romanfiguren imaginiere, und den Stühlen, auf denen reale Menschen sitzen. Ich muss zugeben, dass ich mich zeitweise meinen Romanfiguren inniger verbunden gefühlt habe als so manchen Menschen in meinem Umkreis. Ich habe doch so viel Zeit mit ihnen verbracht! Bin in sie hineingekrochen, habe mit ihnen und in ihnen und durch sie gelebt! In der Zeit des Schreibens waren sie für mich realer als viele der biologischen Existenzen um mich herum. Auch realer als mein Mann und meine Kinder? Natürlich nicht! Noch das existenziellste Problem meiner Lieblingsromanfigur schrumpfte bei der Berührung mit einem verlorenen Kuscheltier des einen Sohnes, einem aufgeschlagenen Knie des anderen oder einem Schnupfen des Mannes zur Bedeutungslosigkeit. Das Leben ist das Leben ist das Leben. Sagt die Literatur.
Aber auch die Literatur irrt umher zwischen dem soliden Stuhl „Wert an sich“ und dem angesagten Designersitzmöbel „Warenwert“. Manchmal frage ich mich heute:
War es richtig, mich nicht nach den guten Ratschlägen aus der Marketing Abteilung von dtv zu richten, ich müsse wiedererkennbar schreiben und bei der Science Fiktion bleiben, dem Genre meines Erfolgsromans Duplik Jonas 7? Das jedoch fand ich todlangweilig. Dann hätte ich auch jede andere entfremdete Arbeit machen können, sagte ich mir. Nein, ich wollte keine Schreibprodukte am Literaturfließband abliefern. Ich wollte mich immer neuen Herausforderungen stellen, mich mit dem beschäftigen, was mich bewegte, was mir Rätsel aufgab, was ich nicht verstand. Mein Schreiben war meine Art der Auseinandersetzung mit mir selbst und der Welt und die wandelte sich ständig und damit auch die Themen, der Stil und die Genres. Also erschienen unter meinem Namen nicht sich ähnelnde Bücher in einem großen Hausverlag, sondern ganz unterschiedliche Bücher in großen und kleinen Verlagen. Nach den Marketinggesetzen des Literaturmarktes ein No go.
Dann gab es noch die Tipps: Du brauchst ein Markenzeichen, egal was. Sei die Autorin, die immer in Vintage-Klamotten auftritt oder einen gelben Hut trägt oder vor jeder Lesung eine Gurke isst! Aber wollte ich mich wirklich selbst zur Ware machen, zum Marketing-Clown der Kulturindustrie? Never ever! Und ich hatte auch keine Lust, dem jeweils angesagten Literatur-Trend hinterher zu schreiben, seien es Pop, Faction, Neuer Realismus, Nature writing oder Autofiktion, wollte auch nicht den angemahnten Berlin-, Wende- oder Apokalypse-Roman schreiben.
In meinem Roman „Tod der Autorin – Ein Leben in elf Romanen“, aus dem ich vorhin gelesen habe, habe ich im Gespräch mit meinen Romanfiguren einen Rückblick auf mein Leben und Schreiben gewagt. Oft hat sich das Erlebte erst im Schreiben darüber zur Erfahrung oder Erkenntnis verdichtet. So habe ich z. B. verblüfft festgestellt: In meinen Romanen haben sage und schreibe fünf Professorinnen aus naturwissenschaftlichen Disziplinen ihren Auftritt als Hauptfigur. Und darauf bin ich stolz! In der Literatur gibt es viel zu wenige Wissenschaftlerinnen, überhaupt immer noch viel zu wenige kluge, starke, erfolgreiche Frauen. Ich habe diese Lücke verkleinert. Das rechne ich mir als dicken Pluspunkt in meiner literarischen Bilanz an, obwohl ich mich damit auch zwischen zwei Stühle gesetzt habe, die nach Meinung der Marketingabteilungen der Verlage nicht zusammen passen: Frauen und Wissenschaft. Denn, so heißt es: Männer lesen solche Bücher nicht, weil die Hauptfigur eine Frau ist; Frauen lesen sie nicht, weil sie Wissenschaft für staubtrocken und langweilig halten. Leider straft das Kaufverhalten der Geschlechter diese Einschätzung selten Lügen.
Aber es gibt ihn, den kleinen erlesenen Leser*innen-Kreis, der dieser Verallgemeinerung trotzt. Und deren Stühlen nähere ich mich immer gern.
Beitrag zur Podiumsdiskussion auf der Buchmesse Hamburger Autor*innen am 2.12.2023 in der Kunstklinik in Hamburg
Zwischen allen Stühlen ist der Platz des freien Autors
Und wenn der Autor Mutter ist, ist sein Platz zwischen den Stühlen und dem Wickeltisch. Und wenn der Autor alte Eltern hat, steht ein Pflegebett störrisch im Raum seiner Kreativität. Und wenn die Autor*in Vater ist … aber nein, es soll hier nicht um das generische Maskulinum und eine gendergerechte Sprache gehen, obwohl auch hier für uns Menschen der Sprache der Platz zwischen den Stühlen zu erkunden ist, der Platz, in dem wir eine Sprache suchen, die sich nicht ungefragt patriarchal geprägter Formen bedient, die uns aber auch nicht unnötig viele Stolpersteine in den Weg legt. Ich irre oft umher zwischen dem Stuhl, auf dem sich die althergebrachte Sprache, lässig und zugegeben elegant fläzt, und dem Stuhl, auf dem sich mit aufrechtem Rückgrat, aber noch unsicherer Miene, eine Sprache im Werden sperrig in den Weg stellt. Mal nähere ich mich mehr dem einen Stuhl an, mal dem anderen und aus dieser Suchbewegung entsteht ein Text.
Ein anderer Platz entsteht für mich als Autorin fiktionaler Werke zwischen den Stühlen, auf denen ich meine Romanfiguren imaginiere, und den Stühlen, auf denen reale Menschen sitzen. Ich muss zugeben, dass ich mich zeitweise meinen Romanfiguren inniger verbunden gefühlt habe als so manchen Menschen in meinem Umkreis. Ich habe doch so viel Zeit mit ihnen verbracht! Bin in sie hineingekrochen, habe mit ihnen und in ihnen und durch sie gelebt! In der Zeit des Schreibens waren sie für mich realer als viele der biologischen Existenzen um mich herum. Auch realer als mein Mann und meine Kinder? Natürlich nicht! Noch das existenziellste Problem meiner Lieblingsromanfigur schrumpfte bei der Berührung mit einem verlorenen Kuscheltier des einen Sohnes, einem aufgeschlagenen Knie des anderen oder einem Schnupfen des Mannes zur Bedeutungslosigkeit. Das Leben ist das Leben ist das Leben. Sagt die Literatur.
Aber auch die Literatur irrt umher zwischen dem soliden Stuhl „Wert an sich“ und dem angesagten Designersitzmöbel „Warenwert“. Manchmal frage ich mich heute:
War es richtig, mich nicht nach den guten Ratschlägen aus der Marketing Abteilung von dtv zu richten, ich müsse wiedererkennbar schreiben und bei der Science Fiktion bleiben, dem Genre meines Erfolgsromans Duplik Jonas 7? Das jedoch fand ich todlangweilig. Dann hätte ich auch jede andere entfremdete Arbeit machen können, sagte ich mir. Nein, ich wollte keine Schreibprodukte am Literaturfließband abliefern. Ich wollte mich immer neuen Herausforderungen stellen, mich mit dem beschäftigen, was mich bewegte, was mir Rätsel aufgab, was ich nicht verstand. Mein Schreiben war meine Art der Auseinandersetzung mit mir selbst und der Welt und die wandelte sich ständig und damit auch die Themen, der Stil und die Genres. Also erschienen unter meinem Namen nicht sich ähnelnde Bücher in einem großen Hausverlag, sondern ganz unterschiedliche Bücher in großen und kleinen Verlagen. Nach den Marketinggesetzen des Literaturmarktes ein No go.
Dann gab es noch die Tipps: Du brauchst ein Markenzeichen, egal was. Sei die Autorin, die immer in Vintage-Klamotten auftritt oder einen gelben Hut trägt oder vor jeder Lesung eine Gurke isst! Aber wollte ich mich wirklich selbst zur Ware machen, zum Marketing-Clown der Kulturindustrie? Never ever! Und ich hatte auch keine Lust, dem jeweils angesagten Literatur-Trend hinterher zu schreiben, seien es Pop, Faction, Neuer Realismus, Nature writing oder Autofiktion, wollte auch nicht den angemahnten Berlin-, Wende- oder Apokalypse-Roman schreiben.
In meinem Roman „Tod der Autorin – Ein Leben in elf Romanen“, aus dem ich vorhin gelesen habe, habe ich im Gespräch mit meinen Romanfiguren einen Rückblick auf mein Leben und Schreiben gewagt. Oft hat sich das Erlebte erst im Schreiben darüber zur Erfahrung oder Erkenntnis verdichtet. So habe ich z. B. verblüfft festgestellt: In meinen Romanen haben sage und schreibe fünf Professorinnen aus naturwissenschaftlichen Disziplinen ihren Auftritt als Hauptfigur. Und darauf bin ich stolz! In der Literatur gibt es viel zu wenige Wissenschaftlerinnen, überhaupt immer noch viel zu wenige kluge, starke, erfolgreiche Frauen. Ich habe diese Lücke verkleinert. Das rechne ich mir als dicken Pluspunkt in meiner literarischen Bilanz an, obwohl ich mich damit auch zwischen zwei Stühle gesetzt habe, die nach Meinung der Marketingabteilungen der Verlage nicht zusammen passen: Frauen und Wissenschaft. Denn, so heißt es: Männer lesen solche Bücher nicht, weil die Hauptfigur eine Frau ist; Frauen lesen sie nicht, weil sie Wissenschaft für staubtrocken und langweilig halten. Leider straft das Kaufverhalten der Geschlechter diese Einschätzung selten Lügen.
Aber es gibt ihn, den kleinen erlesenen Leser*innen-Kreis, der dieser Verallgemeinerung trotzt. Und deren Stühlen nähere ich mich immer gern.
Beitrag zur Podiumsdiskussion auf der Buchmesse Hamburger Autor*innen am 2.12.2023 in der Kunstklinik in Hamburg