Birgit Rabisch
Unter Markenmenschen
Vorwort zur Neuauflage
Der Roman Unter Markenmenschen ist kurz nach der Jahrtausendwende 2002 im Fischer-Verlag zum ersten Mal veröffentlicht worden. Das Jahr 2002 nach Christus war das Jahr 24 nach Louise Brown, dem ersten „Retortenbaby“, und das Jahr 6 nach Schaf Dolly, dem ersten geklonten Säugetier. Dies waren Meilensteine für die Entwicklung der noch jungen Gentechnologie.
Ich erinnere mich gut an die Versicherung, man werde in vitro erzeugte menschliche Embryonen nur nutzen, um unfruchtbaren Frauen zu einem eigenen Kind zu verhelfen. Die Hoffnung auf diese Selbstbeschränkung erschien mir damals wenig realistisch, jetzt, wo der Embryo nicht mehr im Schutz eines Frauenkörpers heranwuchs. Heute werden in vielen Ländern Embryonen zu unterschiedlichsten Zwecken (Stammzellgewinnung, Forschungsklonen, Leihmutterschwangerschaften, Präimplantationsdiagnostik etc.) gezeugt, geklont, verbraucht. Ich erinnere mich auch gut, dass ich meinen Roman Duplik Jonas 7, der von geklonten Menschen handelt, zu einer Zeit schrieb, als es noch hieß, man werde Säugetiere noch auf unabsehbare Zeit nicht klonen können. Als mein Roman schließlich 1992 erschien, war diese unabsehbare Zeit auf gerade mal vier Jahre geschrumpft.
Auch Unter Markenmenschen handelt von einer Welt, die beim Erscheinen des Romans 2002 noch unabsehbar weit entfernt schien, die nur mein Hirngespinst war, eine zukünftige Welt, in der gentechnisch optimierte Menschen leben, Menschen aus dem Gen-Design-Labor. Ich nannte sie Markenmenschen.
So wurde der Roman folgerichtig als Science Fiction klassifiziert und für den Deutschen Science-Fiction-Preis 2003 und den Kurd Laßwitz-Preis 2003 nominiert. Andererseits passte er nicht wirklich in dieses Genre, hatte so gar nichts von Star Wars und war von einer Frau geschrieben, noch dazu einer deutschen. Das war sehr untypisch in diesem männerdominierten und von der angelsächsischen SF geprägten Segment der Literatur. Zudem beschrieb der Roman die Welt aus der Sicht einer jungen Frau und enthielt auch noch eine Liebesgeschichte, in der die Erotik nicht zu kurz kam. Als wäre das nicht genug, war er in der Reihe Die Frau in der Gesellschaft erschienen, einer Frauenbuchreihe des Fischer-Verlages. Also wurde er flugs dem Genre Frauenliteratur zugeordnet. Kann es für einen Roman ein schlimmeres Etikett geben?
Gut zugekleistert mit den beiden Etiketten Science Fiktion und Frauenliteratur wurde es Leser*innen außerhalb dieser Genres nicht leicht gemacht, auf Unter Markenmenschen aufmerksam zu werden.
Machen wir einen Sprung in das Jahr 2015. Die hauptsächlich von den beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelte Gen-Schere CRISPR/Cas wird als Breaktrough of the Year ausgezeichnet. Es gibt also jetzt das Werkzeug, mein Hirngespinst von genetisch optimierten Menschen in absehbarer Zeit Realität werden zu lassen.
2018 begeistert sich der duotincta Verlag für eine Neuveröffentlichung von Unter Markenmenschen und es gelingt mir, die Rechte vom Fischer Verlag zurückzuerhalten. Ich fange an, den Roman zu überarbeiten. Am 24. 11. 2018 kann ich ihn bei einer Lesung in der wunderbaren Alten Büdnerei in Kühlungsborn vorstellen, für die ich das Motto wähle Ist das noch Science Fiction oder schon Realität? Nach der Lesung diskutiere ich mit dem Publikum über die Möglichkeit, das Genom des Menschen mit der CRISPR/Cas Methode zu verändern und stelle das Buch Eingriff in die Evolution von Jennifer Doudna vor. Sie musste mit Erschrecken feststellen, dass die Gen-Schere CRISPR heute schon für ca. 100 Dollar im Internet zu bestellen ist. Sie fordert, wie der Großteil aller Forscher*innen, ein Moratorium für den Eingriff in die Keimbahn des Menschen und warnt vor den Gefahren, wie es auch Stephen Hawking in seinem letzten Buch Kurze Antworten auf große Fragen tut. Aber wird diese Tür wirklich geschlossen bleiben, frage ich das Publikum, und nicht nur ich sehe das skeptisch. Irgendwann wird die Tür mit dem Versprechen auf die Ausmerzung von Krankheiten geöffnet werden und dann wird in sehr absehbarer Zeit der genoptimierte Mensch sie durchschreiten. „Wird wohl am ehesten in China passieren“, vermutet ein Herr aus dem Publikum und das scheint auch mir wahrscheinlich.
Zwei Tage später, am 26.11.2108, geht die Nachricht von der Geburt der „CRISPR-Zwillinge“ in China um die Welt.
Das ist also die Situation, in der ich Unter Markenmenschen für die Neuveröffentlichung überarbeitet habe. Ich habe nur sehr moderate Änderungen vorgenommen. Es ist mir wichtig, dass der Roman seine Uneindeutigkeit nicht verliert, dass er sich nicht einpasst in marktgängige Typisierungen, dass er sich weiter im Offenen bewegt, dem originären Raum der Literatur.
Ich bin sehr froh darüber, dass der Roman vom duotincta Verlag neu aufgelegt wird, einem Verlag, der seine Bücher nicht mit Etiketten wie Frauenroman, Science Fiction, Liebesroman, Erotische Literatur etc. zuklebt. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben in diesem Verlag, der anspruchsvolle und unterhaltsame Belletristik jenseits der Schubladen macht und dabei versucht „die Pfade der vorherrschenden, ewiggleichen und algorithmengesteuerten Buchlandlandschaft zu verlassen“.
Und wenn die verzweifelte Buchhändlerin fragen sollte „In welches Regal soll ich Unter Markenmenschen denn nun einordnen?“ Am besten in keines, sondern das Buch gut sichtbar auf dem Tisch mit den interessanten Neuerscheinungen platzieren!
Unter Markenmenschen
Vorwort zur Neuauflage
Der Roman Unter Markenmenschen ist kurz nach der Jahrtausendwende 2002 im Fischer-Verlag zum ersten Mal veröffentlicht worden. Das Jahr 2002 nach Christus war das Jahr 24 nach Louise Brown, dem ersten „Retortenbaby“, und das Jahr 6 nach Schaf Dolly, dem ersten geklonten Säugetier. Dies waren Meilensteine für die Entwicklung der noch jungen Gentechnologie.
Ich erinnere mich gut an die Versicherung, man werde in vitro erzeugte menschliche Embryonen nur nutzen, um unfruchtbaren Frauen zu einem eigenen Kind zu verhelfen. Die Hoffnung auf diese Selbstbeschränkung erschien mir damals wenig realistisch, jetzt, wo der Embryo nicht mehr im Schutz eines Frauenkörpers heranwuchs. Heute werden in vielen Ländern Embryonen zu unterschiedlichsten Zwecken (Stammzellgewinnung, Forschungsklonen, Leihmutterschwangerschaften, Präimplantationsdiagnostik etc.) gezeugt, geklont, verbraucht. Ich erinnere mich auch gut, dass ich meinen Roman Duplik Jonas 7, der von geklonten Menschen handelt, zu einer Zeit schrieb, als es noch hieß, man werde Säugetiere noch auf unabsehbare Zeit nicht klonen können. Als mein Roman schließlich 1992 erschien, war diese unabsehbare Zeit auf gerade mal vier Jahre geschrumpft.
Auch Unter Markenmenschen handelt von einer Welt, die beim Erscheinen des Romans 2002 noch unabsehbar weit entfernt schien, die nur mein Hirngespinst war, eine zukünftige Welt, in der gentechnisch optimierte Menschen leben, Menschen aus dem Gen-Design-Labor. Ich nannte sie Markenmenschen.
So wurde der Roman folgerichtig als Science Fiction klassifiziert und für den Deutschen Science-Fiction-Preis 2003 und den Kurd Laßwitz-Preis 2003 nominiert. Andererseits passte er nicht wirklich in dieses Genre, hatte so gar nichts von Star Wars und war von einer Frau geschrieben, noch dazu einer deutschen. Das war sehr untypisch in diesem männerdominierten und von der angelsächsischen SF geprägten Segment der Literatur. Zudem beschrieb der Roman die Welt aus der Sicht einer jungen Frau und enthielt auch noch eine Liebesgeschichte, in der die Erotik nicht zu kurz kam. Als wäre das nicht genug, war er in der Reihe Die Frau in der Gesellschaft erschienen, einer Frauenbuchreihe des Fischer-Verlages. Also wurde er flugs dem Genre Frauenliteratur zugeordnet. Kann es für einen Roman ein schlimmeres Etikett geben?
Gut zugekleistert mit den beiden Etiketten Science Fiktion und Frauenliteratur wurde es Leser*innen außerhalb dieser Genres nicht leicht gemacht, auf Unter Markenmenschen aufmerksam zu werden.
Machen wir einen Sprung in das Jahr 2015. Die hauptsächlich von den beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelte Gen-Schere CRISPR/Cas wird als Breaktrough of the Year ausgezeichnet. Es gibt also jetzt das Werkzeug, mein Hirngespinst von genetisch optimierten Menschen in absehbarer Zeit Realität werden zu lassen.
2018 begeistert sich der duotincta Verlag für eine Neuveröffentlichung von Unter Markenmenschen und es gelingt mir, die Rechte vom Fischer Verlag zurückzuerhalten. Ich fange an, den Roman zu überarbeiten. Am 24. 11. 2018 kann ich ihn bei einer Lesung in der wunderbaren Alten Büdnerei in Kühlungsborn vorstellen, für die ich das Motto wähle Ist das noch Science Fiction oder schon Realität? Nach der Lesung diskutiere ich mit dem Publikum über die Möglichkeit, das Genom des Menschen mit der CRISPR/Cas Methode zu verändern und stelle das Buch Eingriff in die Evolution von Jennifer Doudna vor. Sie musste mit Erschrecken feststellen, dass die Gen-Schere CRISPR heute schon für ca. 100 Dollar im Internet zu bestellen ist. Sie fordert, wie der Großteil aller Forscher*innen, ein Moratorium für den Eingriff in die Keimbahn des Menschen und warnt vor den Gefahren, wie es auch Stephen Hawking in seinem letzten Buch Kurze Antworten auf große Fragen tut. Aber wird diese Tür wirklich geschlossen bleiben, frage ich das Publikum, und nicht nur ich sehe das skeptisch. Irgendwann wird die Tür mit dem Versprechen auf die Ausmerzung von Krankheiten geöffnet werden und dann wird in sehr absehbarer Zeit der genoptimierte Mensch sie durchschreiten. „Wird wohl am ehesten in China passieren“, vermutet ein Herr aus dem Publikum und das scheint auch mir wahrscheinlich.
Zwei Tage später, am 26.11.2108, geht die Nachricht von der Geburt der „CRISPR-Zwillinge“ in China um die Welt.
Das ist also die Situation, in der ich Unter Markenmenschen für die Neuveröffentlichung überarbeitet habe. Ich habe nur sehr moderate Änderungen vorgenommen. Es ist mir wichtig, dass der Roman seine Uneindeutigkeit nicht verliert, dass er sich nicht einpasst in marktgängige Typisierungen, dass er sich weiter im Offenen bewegt, dem originären Raum der Literatur.
Ich bin sehr froh darüber, dass der Roman vom duotincta Verlag neu aufgelegt wird, einem Verlag, der seine Bücher nicht mit Etiketten wie Frauenroman, Science Fiction, Liebesroman, Erotische Literatur etc. zuklebt. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben in diesem Verlag, der anspruchsvolle und unterhaltsame Belletristik jenseits der Schubladen macht und dabei versucht „die Pfade der vorherrschenden, ewiggleichen und algorithmengesteuerten Buchlandlandschaft zu verlassen“.
Und wenn die verzweifelte Buchhändlerin fragen sollte „In welches Regal soll ich Unter Markenmenschen denn nun einordnen?“ Am besten in keines, sondern das Buch gut sichtbar auf dem Tisch mit den interessanten Neuerscheinungen platzieren!