Ich wünsche frohe Ostern mit einem Gläschen
Eierlikör
Als Kind liebte ich die Kaffeekränzchen, die meine Oma einmal im Monat für ihre Nachbarinnen gab. Als Spionin, die in der Wärme saß, spielte ich in einer Zimmerecke nur scheinbar mit meinen Puppen, während ich die Frauen genau beobachtete. Eines Tages beschloss ich, mit meinen Spielkameradinnen auch ein Kaffeekränzchen abzuhalten.
Oma unterstützte mich tatkräftig bei meinem Plan. Wir backten zusammen Kuchen. Statt Kaffee würde es Kakao geben, aber was war mit dem Eierlikör? Erst beim Eierlikör wurde das Kränzchen so richtig lustig, das hatte ich immer wieder erlebt. Ohne Eierlikör ging es also nicht. Meine patente Oma wusste wie immer Rat. Sie kochte Vanillesauce und füllte sie in eine Eierlikörflasche.
An einem schönen Sommertag deckte ich im Hinterhof den Campingtisch mit einer weißen Leinendecke und Omas gutem Geschirr. Nachmittags pünktlich um vier kamen meine drei besten Freundinnen. Jede brachte mir, wie es sich gehörte, einen Blumenstrauß mit, auch wenn es nur Butterblumen oder Gänseblümchen waren.
„Das hätte doch nicht nötig getan“, sagte ich mit der Stimme meiner Oma, stellte die Blumen in ein Marmeladenglas auf den Tisch und bat meine Gäste höflich, doch Platz zu nehmen. Dann verteilte ich die Rollen, so dass nicht mehr Inge, Marion und Renate meinen Kuchen über den grünen Klee lobten, sondern Frau Martens, Frau Siblinsky und Frau Schulz, die Frau des Bezirkspolizisten. Bei Kuchen und Kakao unterhielten wir uns zivilisiert über Kochrezepte und die Untaten unserer Kinder, bis ich schließlich den Eierlikör ausschenkte. Ich wies meine Freundinnen an, sich auch jetzt so zu benehmen, wie echte Damen es nach dem Genuss von Eierlikör zu tun pflegten. Das Gesprächsthema müsse jetzt die Männer sein. Nach jedem Gläschen kicherten wir lauter, kreischten und sangen schließlich im Chor Die Männer sind alle Verbrecher, ihr Herz ist ein finsteres Loch …
Leider bemerkte ich nicht, dass die alte Frau Gerke im ersten Stock ihr Fenster geöffnet hatte und entsetzt unser Treiben beobachtete.
Ich schrie „Die Männer wollen doch alle nur das eine!“, weil ich den Satz oft genug gehört hatte, ohne zu verstehen, was sie denn nun wollten. Ich schenkte Frau Schulz erneut ein und flüsterte ihr meine Regieanweisung ins Ohr. Sie müsse jetzt sagen, was die echte Polizistengattin immer nach dem vierten Gläschen Eierlikör rief. Sie nickte und schrie lauthals über den Hof:
„Polizei, dickes Ei!“
Wie der Teufel, wenn man ihn ruft, bog Wachtmeister Schulz um die Ecke. Er machte in finsteres Gesicht:
„Ich wurde angerufen, dass hier sittenlose und alkoholisierte Kinder ihr Unwesen treiben!“
Er griff nach der Eierlikörflasche und roch daran. Ich war vor Schreck verstummt, doch zum Glück sah ich meine Oma aus dem Haus kommen. Sie lächelte ihn an:
„Vanillesauce, Erwin. Aber wie wär’s mit ‘nem echten Tröpfchen?“
„Ich bin im Dienst“, murmelte er, doch er folgte meiner Oma in die gute Stube.
veröffentlicht
in: Ei-Buch, Achter-Verlag, Acht 2013
in: Reisen Essen Schreiben, Hg. Hamburger Autorenvereinigung
Verlag Expeditionen, Hamburg 2019