Auszug aus Die vier Liebeszeiten
Roman, Verlag duotincta
Wie zuvor dem Anleger Neumühlen nähert sich die Fähre auch dem Anleger Finkenwerder mit deutlich zu viel Fahrt und rumst kräftig gegen den Ponton.
Der Schipper hat wohl zu viel Feuerwasser getrunken!, kommentiert Hauke das Manöver.
Feuerwasser? Bist du etwa auch Karl-May-Leser?
Während sie zu ihren Fahrrädern gehen und sie über die Gangway an Land schieben, bestätigt Hauke Renas Vermutung.
Echt?
Ein kritischer, aber auch leidenschaftlicher Karl-May-Leser!
Ewas Besseres hätte er nicht sagen können, um Renas Vertrauen in ihn zu rechtfertigen. Ein leidenschaftlicher Karl-May-Leser kann kein schlechter Mensch sein!
Auf der Fahrt mit der Anschlussfähre nach Teufelsbrück verliert Rena kein Wort mehr über ihre Kindheit. Ihre Mutter und Oma Anna sind in weite Ferne gerückt. Stattdessen will sie von Hauke wissen, was er von dem Vorwurf halte, Karl May transportiere in seinen Büchern kolonialistisches Gedankengut. Sei er nicht vielmehr ein wahrer Freund der unterdrückten Völker?
Sowohl als auch, behauptet Hauke und Rena stimmt ihm zu. Sie ist ja durchaus nicht blind für die Schwächen in Karl Mays Werk. Als Hauke jedoch Kritik an Winnetou äußert, ihn als eindimensional gestaltet, einfach zu und zu edel und ohne Brüche bezeichnet, verteidigt Rena ihr Idol heftig:
Er ist nicht eindimensional! Er ist nur kein Weichling und Anpasser, er bleibt sich selbst treu! Er steht zu seinem weißen Bruder und trotzdem auch zu seinen indianischen Werten, unverbrüchlich …
Ach ja? Indianische Werte? Und was sind seine letzten Worte?
Voll erwischt!
Renas Magen krampft sich noch jetzt zusammen, wenn sie daran denkt, wie sie die Sterbeszene in Winnetou III gelesen hat. Vom Beginn des Buches an hatte sie sich davor gefürchtet, sie wusste ja, dass Winnetou in diesem Band sterben würde, und hatte Angst, in Tränen auszubrechen, doch als sie dann die Worte las, die Karl May dem sterbenden Häuptling der Apachen in den Mund gelegt hat, fühlte sie sich nur zutiefst peinlich berührt:
Schar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!
Winnetous letzte Worte sind ein grauenhafter Schmarren, gesteht sie Hauke zu, eine unerträgliche Sülze. Ich geb zu, ich hab sie einfach verdrängt. Beziehungsweise, ich hab entschieden, dass Winnetou in Wirklichkeit nur mit einem Lächeln auf den Lippen in die ewigen Jagdgründe eintritt.
In Wirklichkeit? Aber Karl May als Autor …
Was interessiert mich der Autor? Ich lass mir von Karl May doch nicht meinen Winnetou zur Witzfigur machen!
Hauke schaut sie verblüfft an, lacht dann aber anerkennend:
Dass nenn ich eine souveräne Leserin! Darf ich dich in meinem Referat über Literatur und ihre Rezeption zitieren?
S. 42-44 in: Die vier Liebeszeiten, 2. Auflage 2018, Verlag duotincta
Roman, Verlag duotincta
Wie zuvor dem Anleger Neumühlen nähert sich die Fähre auch dem Anleger Finkenwerder mit deutlich zu viel Fahrt und rumst kräftig gegen den Ponton.
Der Schipper hat wohl zu viel Feuerwasser getrunken!, kommentiert Hauke das Manöver.
Feuerwasser? Bist du etwa auch Karl-May-Leser?
Während sie zu ihren Fahrrädern gehen und sie über die Gangway an Land schieben, bestätigt Hauke Renas Vermutung.
Echt?
Ein kritischer, aber auch leidenschaftlicher Karl-May-Leser!
Ewas Besseres hätte er nicht sagen können, um Renas Vertrauen in ihn zu rechtfertigen. Ein leidenschaftlicher Karl-May-Leser kann kein schlechter Mensch sein!
Auf der Fahrt mit der Anschlussfähre nach Teufelsbrück verliert Rena kein Wort mehr über ihre Kindheit. Ihre Mutter und Oma Anna sind in weite Ferne gerückt. Stattdessen will sie von Hauke wissen, was er von dem Vorwurf halte, Karl May transportiere in seinen Büchern kolonialistisches Gedankengut. Sei er nicht vielmehr ein wahrer Freund der unterdrückten Völker?
Sowohl als auch, behauptet Hauke und Rena stimmt ihm zu. Sie ist ja durchaus nicht blind für die Schwächen in Karl Mays Werk. Als Hauke jedoch Kritik an Winnetou äußert, ihn als eindimensional gestaltet, einfach zu und zu edel und ohne Brüche bezeichnet, verteidigt Rena ihr Idol heftig:
Er ist nicht eindimensional! Er ist nur kein Weichling und Anpasser, er bleibt sich selbst treu! Er steht zu seinem weißen Bruder und trotzdem auch zu seinen indianischen Werten, unverbrüchlich …
Ach ja? Indianische Werte? Und was sind seine letzten Worte?
Voll erwischt!
Renas Magen krampft sich noch jetzt zusammen, wenn sie daran denkt, wie sie die Sterbeszene in Winnetou III gelesen hat. Vom Beginn des Buches an hatte sie sich davor gefürchtet, sie wusste ja, dass Winnetou in diesem Band sterben würde, und hatte Angst, in Tränen auszubrechen, doch als sie dann die Worte las, die Karl May dem sterbenden Häuptling der Apachen in den Mund gelegt hat, fühlte sie sich nur zutiefst peinlich berührt:
Schar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!
Winnetous letzte Worte sind ein grauenhafter Schmarren, gesteht sie Hauke zu, eine unerträgliche Sülze. Ich geb zu, ich hab sie einfach verdrängt. Beziehungsweise, ich hab entschieden, dass Winnetou in Wirklichkeit nur mit einem Lächeln auf den Lippen in die ewigen Jagdgründe eintritt.
In Wirklichkeit? Aber Karl May als Autor …
Was interessiert mich der Autor? Ich lass mir von Karl May doch nicht meinen Winnetou zur Witzfigur machen!
Hauke schaut sie verblüfft an, lacht dann aber anerkennend:
Dass nenn ich eine souveräne Leserin! Darf ich dich in meinem Referat über Literatur und ihre Rezeption zitieren?
S. 42-44 in: Die vier Liebeszeiten, 2. Auflage 2018, Verlag duotincta